In den meisten Ländern Europas war Estragon seit dem Mittelalter als „Drachenkraut" bekannt. Als Gewürz wurde es kaum genutzt. Nur die französische Küche wusste die Vielfalt des Krauts relativ früh zu schätzen. Dort haben Speisen mit Estragon eine lange Tradition. Man fand sogar, er sei so aromatisch, dass er Salz und Pfeffer ersetzen könne.
Herkunft und Geschichte
Estragon ist ein kulturgeschichtlich eher junges Gewürz. Vermutlich stammt das Kraut aus der Steppenlandschaft Sibiriens. Die alten Griechen nutzten es für manchen Zauber und sie nannten es drakos („Schlange, Drache"). Im Deutschen wurde daraus „Drakonkraut" Wann der Estragon nach Europa kam, ist unklar. Vielleicht reiste er im 11. Jahrhundert mit den Kreuzrittern vom Orient zum Okzident, vielleicht machten ihn schon die Araber nach der Eroberung Spaniens im frühen Mittelalter auf den Fürstentafeln Europas salonfähig. Karriere machte der Estragon erst ab 1600 - in den Töpfen französischer Hofköche. Seither haucht er berühmten Spezialitäten der Grande Cuisine ihren Oh-lá-lá-Effekt ein. Sonnenkönig Ludwig XIV. (1638-1715) befahl, Estragon in den königlichen Parks zu kultivieren.
Qualität und Inhaltsstoffe
Estragon gehört wie Beifuß und Wermut (Artemisia absinthium) zu den Korbblütengewächsen. Die Verwandtschaft mit Wermut erklärt den Anflug von Liköraroma im frischen Kraut. Der Duft der Blätter erinnert an Lakritze. Man wird dem charakteristischen Aroma eher gerecht, wenn man es als warm, leicht süß, mit Anklängen an Anis, Bergamotte und Ceylon-Zimt beschreibt. Getrocknete Blätter wecken die Assoziation an Zimt, sie sind bei guter Qualität kräftiggrün. Bekannt sind drei botanische Arten: der Russische, Deutsche und Französische Estragon. Das intensivste Aroma haben deutsche und französische Arten. Sie enthalten bis zu drei Prozent ätherisches Öl. Es besteht zu 80 Prozent aus dem Duft- und Geschmacksstoff Estragol, zu 20 Prozent geben Eugenol, Zimtsäure, Camphen und Limonen den Ton an. Russischer Estragon enthält kein Estragol. Wer Estragon kultivieren will, sollte Deutschen und Französischen nehmen. Für sein Aroma braucht Estragon sehr viel Sonne und Wärme.
Verwendung in der Küche
Wohlklingende Namen prägen den Ruf des Estragons und zeigen, wie eng er mit der Tradition der französischen Küche verbunden ist. Estragon würzt bekannte Delikatessen wie die Sauce bearnaise, eine Variante der Remoulade, und sahnige Geflügelragouts wie Hühnchen in Estragonsauce (Coq á l'estragon). Es gehört in die klassische Kräutermischung Fines Herbes, die vor allem für Eierspeisen, helles Fleisch und helle Saucen verwendet wird, in diverse Senfsorten und Gewürzessige. Auch zu Fisch passt er wunderbar, ebenso ins Salatdressing und zu Tomaten. Über die Leibspeise der bürgerlichen französischen Küche, Hühnchen in Estragonsauce, schrieb ein deutscher Restaurantkritiker, man wolle die köstliche Sauce „am liebsten mit dem Löffel essen".
Gesundheitsfördernde Eigenschaften
Estragon enthält Cumarin und ist reich an sekundären Pflanzenstoffen (zum Beispiel Gerbstoffe). Ob Estragon, wie man in volkstümlichen Schriften lesen kann, tatsächlich ein bewährtes Mittel gegen Schluckauf ist, sei dahingestellt. Medizinisch interessant ist vielmehr, dass das Kraut die Funktionen des Magen-Darm-Trakts unterstützt. In der Volksmedizin wird Estragon als Tee gegen Zahnschmerzen sowie als leichtes Beruhigungsmittel empfohlen.
Mein Tipp
Würze für Suppen und Saucen
Die frischen Blätter des Estragons haben einen relativ intensiven Geschmack; es empfiehlt sich daher, sie immer mit Bedacht zu dosieren. Ich selbst verwende Estragon gern, natürlich für die Sauce Béarnaise, aber auch für helle Fisch- und Geflügelsaucen. Zum Beispiel für eine Weißweinsauce, die ich kurz vor Garzeitende mit einigen Zweigen Estragon aromatisiere. Vor demServieren entferne ich die Zweige wieder. Oder ich bereite eine Kräutersuppe mit Petersilie, Kerbel, Brunnenkresse, Bärlauch, Basilikum und Estragon zu. Da Estragon sehr dominierend wirken kann, kombiniere ich ihn gern mit Anis, Fenchel und Knoblauch, weil diese Gewürze ihm die Spitze nehmen.